Home » Kultur, Literatur, Kunst, Lyrik » Literaturkritik, Buchrezensionen » Feed 997
RSS-Feed Information:

Hier finden Sie in chronologischer Ordnung Buchbesprechungen und Literaturkritik.

Tags: buecher buchrezensionen literaturkritik
Einträge: 10 Kategorie: Literaturkritik, Buchrezensionen
aktualisiert am: 11.08.2014 - 12:50:15
Feed-Einträge:
Der etwa hochnäsige Buchkritiker der ZEIT bezeichnete den neuen Roman von Dan Brown als „charmante Unterhaltungsliteratur“. Wenn das keine Adelung ist! (Achtung, die Rezension verrät eine Menge über die Handlung.) Der Rezensent räumte auch unumwunden ein, dass er bisher nichts von Dan Brown gelesen hatte. Hätte er das getan, wäre ihm das bewährte Strickmuster aufgefallen. Aber letztlich ist es absolut legitim, ein einmal bewährtes Muster erneut einzusetzen – schließlich ist „Sakrileg“, besser bekannt unter dem englischen Titel „The Da Vinci Code“, eines der meistverkauften Bücher aller Zeiten. Auch ich habe es damals verschlungen. Damals, ja, da war alles noch ganz neu, da trafen wir zum ersten Mal auf den hochkompetenten und leicht schrulligen Harvard-Professor für „Symbolforschung“, Robert Langdon. Mittlerweile fühlt er sich schon an wie ein langjähriger Bekannter und es prickelt nicht mehr ganz so zwischen ihm und der Leserin. Aber gut, das ist der Lauf der Dinge. Ein Buch von Dan Brown braucht vermutlich keine wirklich aufwändige PR. Dennoch bekam es schon im Vorfeld sehr viel Aufmerksamkeit, weil anscheinend die Übersetzungen in einem geheimen Bunker in der Nähe von Mailand von Übersetzerinnen und Übersetzern angefertigt wurden, die zwischen Hotel und Bunker hin- und herchauffiert wurden und natürlich zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet waren. Ihre persönlichen Kommunikationsgegenstände wurden ihnen angeblich abgenommen und Internetzugang gab es nur unter Aufsicht. Diese Geschichte möchte ich bei Gelegenheit überprüfen  und eventuell ein Interview mit den ÜbersetzerInnen der deutschen Fassung ergattern, und zwar für die Mitgliederzeitschrift des österreichischen Berufsverbandes für Dolmetschen und Übersetzen, UNIVERSITAS Austria.   Wo beim „Da Vinci Code“ sich alles um Paris, Leonardo da Vinci und die katholische Kirche dreht, stehen diesmal die „Göttliche Komödie“ von Dante, Florenz, Venedig etc. im Mittelpunkt. Die Leserin merkt, wie bewandert der Autor in all diesen Belangen ist. Abgesehen von einem sehr spannenden und flott zu lesenden Thriller bietet der Roman auch noch einiges an Bildungsmöglichkeiten in Sachen Literatur, Kunstgeschichte und Architektur.  Wie im berühmten Vorgängerwerk kommt auch hier Robert Langdon wie die Jungfrau zum Kinde und muss ein mysteriöses Rätsel lösen. Auch jetzt geht es um Leben und Tod und die halbe Welt scheint ihm auf den Fersen zu sein. Blöderweise leidet er infolge einer Kopfverletzung an temporärer Amnesie und kann sich beim besten Willen nicht mehr erklären, wie es ihn nach Florenz verschlagen hat. Nach und nach kehrt die Erinnerung zurück.   Es ist ein guter Ansatz, Unterhaltungsliteratur nicht an den Maßstäben anspruchsvoller Literatur zu messen. Dennoch tun die iSchläge in die stilistische Magengrube weh; überwiegend bei den Dialogen (Robert, wir haben ein Problem!"). Anders als der ZEIT-Rezensent fand ich die Figuren nicht gut herausgearbeitet. Wie so oft ist Robert Langdon der grenzgeniale Symbolforscher mit dem fotografischen Gedächtnis und an seiner Seite macht es sich eine Frau mit einem IQ von über 200 bequem, die mehr als locker mit ihm mithalten kann. Starke und intelligente Frauen in der Literatur begrüße ich natürlich ausdrücklich; allerdings erscheinen mir die Charaktere von Dan Brown dann doch etwas holzschnittartig – auch wenn die Grenzen zwischen Gut und Böse immer wieder verschmelzen. Ich verrate kein großes Geheimnis, wenn ich sage: Robert Langdon, der Uni-Prof mit der Mickey-Maus-Uhr, ist immer einer der Guten.   Insgesamt also auf jeden Fall eine Leseempfehlung von mir, auch wenn der Zauber des Anfangs etwas verblasst ist. Wer bisher nichts von Dan Brown gelesen hat, wird sicher genauso positiv überrascht und angetan sein wie der Rezensent der ZEIT. Bewertung: 4 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
Dieses Buch der Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg ist eine hervorragende Mischung aus feministischem Manifest und Karrieretipps. Der deutsche Untertitel lautet „Frauen und der Wille zum Erfolg.“ Ich hab’s auf Englisch und am Kindle gelesen … und war begeistert von Sandbergs Ausführungen. Diese kommen mit einer großen persönlichen Note so richtig schön authentisch rüber, wie es wohl nur einer amerikanischen Feder gelingt. Sheryl Sandberg scheut nicht davor zurück, tiefe Einblicke in ihr Privatleben, ihre sehr persönlichen Erfolge, aber auch ihre weniger erfreulichen Erlebnisse zu geben. All dies natürlich immer in Zusammenhang mit Grundsatzüberlegungen zum Thema Feminismus und Geschlechterstereotype. Gleich am Anfang und auch im restlichen Buch liefert sie harte Fakten zum Mythos, dass es Frauen heutzutage eh ganz gut gehe. Auch wenn, zumindest in unseren Breiten, Vergewaltigung in der Ehe heute ein Verbrechen ist, Frauen ohne die Erlaubnis ihres Mannes arbeiten gehen dürfen und mittlerweile sogar in jedem Schweizer Kanton wählen dürfen, bleibt noch sehr viel zu tun: „A truly equal world would be one where women run half our countries and companies and men ran half our homes. I believe that this would be a better world.“ Und: „We need to be grateful for what we have but dissatisfied with the status quo.“   Die meisten der Studien und Experimente, die Sandberg zitiert, sind der passionierten Feministin wohlbekannt, unter anderem aus dem großartigen Sachbuch von Cordelia Fine mit dem Titel „Delusions of Gender“ („Die Geschlechterlüge“). Das macht aber nichts, denn viele davon kann frau sich gar nicht oft genug auf der Zunge zergehen lassen. Etwa dieses Experiment: Testpersonen wurden zwei inhaltlich idente Lebensläufe mit  Bewerbung vorgelegt, jeweils einer von „Heidi“  und einer von „Howard“. Wen würden sie einstellen, wen halten sie für kompetenter? Überwiegend Howard – übrigens sowohl die weiblichen als auch die männlichen Testpersonen. Warum? Geschlechterstereotype sind am Werk: „Heidi violated our stereotypical expectations of women. Yet by behaving in the exact same manner, Howard lived up to our stereotypical expectations of men. The end result? Liked him, disliked her.” Und: […] success and likeability are negatively correlated for women.“   Bei der Lektüre habe ich mich als beruflich sehr erfolgreiche und kinderfreie Frau immer wieder an der Nase genommen. Sheryl Sandberg plädiert nämlich dafür, die Wahlfreiheit der anderen zu respektieren. Stay-at-home mom mit fünf Kindern und null Karrierewunsch? Nicht mein Ding, aber wem’s gefällt ….! Wir Frauen sollten unsere Lebensentwürfe nicht gegeneinander ausspielen … das bringt uns überhaupt nicht weiter. Das halte ich für eine sehr wichtige Botschaft. „The gender wars need an immediate and lasting peace. […] Feeling threatened by others’ choices pulls us all down.” „We should strive to resolve our differences quickly, and when we disagree, stay focused on our shared goals.“ Wobei es natürlich legitim ist, auf die finanzielle Komponente eines solchen Lebensentwurfes, auf die Abhängigkeit von einer anderen Person und auf mögliche Altersarmut hinzuweisen. Sehr löblich auch der pragmatische Ansatz der Autorin, wenn es um Karriere geht und wie dies in einer männerdominierten Welt gelingen könnte: „I understand the paradox of advising women to change the world by adhering to biased rules and expectations. I know it is not a perfect answer but a means to a desirable end.“ Aber: “My hope, of course, is that we won’t have to play by these archaic rules forever and that eventually we can all just be ourselves.”   Zum Thema, dass Frauen an der Spitze oft sehr kritisch betrachtet werden: “It is easy to dislike senior women because there are so few. If women held 50 percent of the top jobs, it would just not be possible to dislike that many people.” Und: “Men at the top often unaware of the benefits they enjoy simply because they’re men, and this makes them blind to the disadvantages associated with being a woman.” Abgesehen von der einen oder anderen biologistischen Einschätzung, dass Frauen dank der Stillfähigkeit mehr zum Hegen und Pflegen von Kindern tendieren, ist dieses Buch ein fulminantes Werk, das ich jeder Frau sehr ans Herz lege. Und auch jedem Mann! Bewertung: 5 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
Dieses recht eigenwillig geschriebene Buch entwickelt, wenn sich die Leserin mal darin vertieft hat, einen eigenartigen Sog, dem ich mich kaum entziehen konnte. Das lag weniger an der wenig berauschenden Story als an der Form. Kurz gefasst: Verkürzte Sätze à la Wolf Haas („Erleichterung Hilfsausdruck“) sind vergleichsweise ausführlich. Bei Michael Stavarič fließen Dialoge, Beobachtungen der Ich-Erzählerin etc. in einem Fluss zusammen. Hier ein willkürlich ausgewähltes Stück aus dem Text: „Seine Wohnung, ich läute, er öffnet, ich schenke ihm ein Lächeln, er küsst meine Stirn, woher kenne ich diesen Mann? Er bittet mich, ich folge, nach innen, innen, ordentlich der Herr, die Schuhe in Reih, Glied, Staub gewischt, ein Fernseher, der läuft, es riecht nach Pizza. Ob ich Hunger habe, was ich trinken möchte, er kann sogar Cocktails mischen, wie sich herausstellt, seine Hände, die stampfen bald Minze, stoßen Eis.“ Oder: „Ich bringe sie nach Hause, die Schlampe, sie hat jetzt einen Aufseher, einen Studenten, bei der Kleinen, Rechtswissenschaft lernt er. Klara, müde, die Arbeit, noch ist sie es nicht gewohnt, wir, sie, ich, sperren auf, der Student sagt, guten Abend, die Damen, deutet einen Handkuss an, mir gegenüber. Vorsicht, du Pissnelke!“ Uff! Besonders die Sinnhaftigkeit der Aneinanderreihung von Personalpronomen, wie etwa oben bei „wir, sie, ich“ ist mir rätselhaft. Ansonsten ist der Lesefluss ungewöhnlich, aber nicht unmöglich zu lesen. Richtig ärgerlich finde ich es allerdings, wenn ein Mann sich anmaßt, aus dem Innenleben einer Frau zu erzählen (das fand ich schon bei Flaubert und Fontane doof, hier auch noch aus der Ich-Perspektive). Wenig überraschend widmet sich dann die Hauptfigur Elisa auch überwiegend den Tätigkeiten, die nur einer Männerfantasie entspringen können: Sie denkt ständig an Sex, reißt laufend irgendwelche Typen auf, hat Sex, fühlt Blicke an diversen Körperteilen. Dazwischen führt sie wenig überzeugend wirkende Gespräche mit ihrem Therapeuten – und lackiert sich ständig die Nägel, kurz vor dem Duschen, kurz vor dem Aufbruch in die Arbeit. Vielleicht könnte mal jemand dem Autor flüstern, dass es mindestens eine Stunde dauert, bis lackierte Nägel halbwegs trocken sind und  frau ihren normalen Aktivitäten nachgehen kann (sei es jetzt Sex in der Männerfantasie oder etwa Steuererklärung machen im wirklichen Leben). Aber sonst, wie erwähnt, ist das nicht unspannend zu lesen. Die Geschichte tut wenig zur Sache, eine etwa aufgesetzte Kriminalgeschichte mit Brandstiftung in Wohnungen (die Icherzählerin Elisa ist Maklerin). Sog hin oder her war ich dann doch nach gut 170 Seiten froh, dass das Büchlein vorbei war. Auch wenn es mich eine kurze Zeit lang nicht schlecht unterhalten hat, wird es sich nicht in meinem literarischen Langfristgedächtnis einnisten. Abschließend zum Titel „stillborn“ (anscheinend kleingeschrieben): Der nimmt Bezug auf die Ichperson, die sich zwar geboren, aber irgendwie tot fühlt … oder so in die Richtung. Warum sich das für den Titel nicht auf Deutsch ausdrücken lässt, bleibt ein Rätsel. Ein reichlich verzichtbarer Versuch, kosmopolitisch zu wirken, finde ich. Das hat der gebürtige Tscheche Stavarič, der auf Deutsch schreibt, überhaupt nicht nötig. Bewertung: 3 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
Dieser Kurzgeschichtenband des in der Dominikanischen Republik aufgewachsenen Autors Junot Díaz hat es in sich: Er zeigt knallhart und gnadenlos die Kehrseite des amerikanischen Traumes. Dominikanische Einwanderinnen und Einwanderer, die sich abrackern, aber dennoch nicht einmal annähernd einen Teil vom ersehnten Kuchen abgekommen. Zerrüttete Familien, Kinder, die niemand haben wollte, Drogen, Prostitution, Frauen, die wie Objekte behandelt werden. Gewalt gegen Frauen, prügelnde und saufende Männer. Perspektivenlosigkeit. Das alles in sämtlichen Kurzgeschichten in der ersten Person erzählt – das geht schon unter die Haut, wenn die Hauptfigur so mir nichts, dir nichts sagt, dass er seiner aktuellen Freundin gerade ein blaues Auge geschlagen habe. Dieses Buch ist also schonungslos ehrlich und bietet einen gnadenlosen Blick in triste Verhältnisse. Dennoch ist es nicht deprimierend, sondern öffnet eher die Augen für die erwähnte Kehrseite des amerikanischen Traums. Grundsätzlich kann es jede und jeder „nach oben“ schaffen – aber bei vielen sind die Voraussetzungen so schlecht, dass es nicht gelingen kann, egal, wie sehr sie sich bemühen. Dann landen sie in überfüllten Wohnungen in New York oder sonst wo, wo sie mehrere Jobs gleichzeitig arbeiten, von anderen übers Ohr gehauen oder auch noch ausgebeutet werden.   Junot Díaz, der für seinen nach diesem Debüt-Kurzgeschichtenband erschienenen Roman „The brief and wondrous life of Oscar Wao“ den Pulitzer Prize bekommen hat, schreibt in „ganz  normaler“ Alltagssprache, was die hier präsentierten Geschichten umso authentischer macht. Sie gehen unter die Haut – nicht nur im negativen Sinne, sondern auch insofern, als sie den Blick öffnen für eine selten dargestellte Welt. Nachdem der Ich-Erzähler die Ereignisse kaum kommentiert, sondern lediglich aus seiner Perspektive beschreibt, bleibt es der Leserin überlassen, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Großartige Literatur, die sehr leichtfüßig daherkommt. Bewertung: 5 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
Nicht umzubringen ist die Einstellung (besonders oft höre ich so von Männern), dass es keinen Sinn hätte, Literatur zu lesen, weil es doch nur „von irgendjemandem erfundene Geschichten“ seien. Dieser Einstellung kann ich überhaupt nichts abgewinnen. Literatur ist Kunst, Literatur ist Kultur – und was wäre das Leben ohne Kunst und Kultur? Genauso gut könnte argumentiert werden, dass es keinen Sinn hat, sich Musik anzuhören, weil es doch nur von „irgendjemandem ausgedachte Melodien“ seien. Absurd. Lesen erweitert den Horizont und erlaubt das Eintauchen in andere Lebensentwürfe, ein Nachempfinden der Handlungen und Beweggründer anderer. Literatur ist dann wertvoll, wenn der Inhalt universale Bedeutung hat und nicht nur für die Autorin/den Autor relevant ist, wie das so oft bei tagebuchähnlichen Publikationen der Fall ist. Wenn ich aus der Lektüre Impulse und Denkanstöße mitnehmen kann. Klar, wollte ich Fachtrottel bleiben, würde ich mich nur auf die Lektüre von Fachpublikationen meines Berufsfeldes konzentrieren. Ich bin aber mehr als die Summe meines Wissens – hier kommt die Literatur ins Spiel. Und oft, leider nicht so oft wie erhofft, ist für mich Lesen mit echten Glücksgefühlen verbunden.  So verhielt es sich bei diesem wunderbaren, schlanken Buch namens „Child of my heart“ der Amerikanerin Alice McDermott (vergleichbare Glücksgefühle stellen sich bei einem früheren Buch der Autorin namens „Charming Billy“, für den sie übrigens den American Book Award bekommen hat, überhaupt nicht ein). Von der Ich-Perspektive aus erzählt dieses Buch von einem Sommer im Leben der 15-jährigen Theresa. Ihre Mittelschichteltern sind bewusst in eine reiche Gegend in Long Island gezogen, auf dass sich das Einzelkind Theresa dort unter anderem als Babysitterin und Hundegassiführerin einen Namen mache und hoffentlich reich heirate. Es gibt wenig Hinweise, in welcher Zeit sich diese Geschichte abspielt, aber die Abwesenheit von Handys etc. und die Anwesenheit von Festnetztelefonen lässt auf das 20. Jahrhundert schließen.  Einerseits ist in diesem Sommer alles idyllisch – und dann ist doch wieder alles im Aufruhr. Theresa merkt, dass ihre aufkeimende Weiblichkeit bei vielen älteren Männern für Interesse sorgt und leider auch machtgesteuerte Annäherungsversuche mit sich bringt. Theresa kommentiert nicht, liefert keine Erklärungsansätze. Die Dinge geschehen, so, wie es plötzlich regnet oder dunkel wird. Das Buch durchzieht ein feiner Hauch Poetik, ohne artifiziell zu wirken. Viel Raum nimmt Theresas Beschäftigung mit diversen Kindern und Haustieren ein, die sich in ihrer Obhut befinden. Es spricht für dieses meisterlich komponierte Stück Literatur, dass jemand wie ich, die überhaupt keine Affinität zu Kindern hat, dieses Buch extrem genossen hat. Es liest sich wie ein Sommer wie damals, wie wir ihn alle kennen – und wie wir ihn einerseits missen und andererseits froh sind, dass wir uns weiterentwickelt haben und sich die Zeit weitergedreht hat. Insgesamt ein wunderbares Stück Literatur, das mit der „typisch“ amerikanischen Leichtigkeit, aber mit viel Tiefgang daherkommt. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Davon könnte sich die deutschsprachige Literatur, die anspruchsvolle Literatur allzu oft mit Unlesbarkeit bzw. eher geringem Lesevergnügen gleichsetzt, einige Scheiben abschneiden.  Bewertung: 5 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
Es kommt sehr selten vor, dass ein Buch rund ums Thema Translation in einem großen Verlag erscheint und dadurch zu einem erschwinglichen Preis ein breites Publikum zu erreichen verspricht: Nataly Kelly und Jost Zetzsche ist es gelungen, beim zum Penguin-Verlag gehörenden Perigee unterzukommen. Mit der Fusion von Penguin Books und Random House ist erst kürzlich der größte Publikumsverlag der Welt entstanden. Autorin und Autor sind in unserer Branche keine Unbekannten: Die amerikanische Dolmetscherin Nataly Kelly als langjährige Führungskraft bei „Common Sense Advisory“, einem Beratungsunternehmen mit ausschließlichem Fokus auf Translation. Der gebürtige Deutsche und in Oregon wohnhafte Übersetzer Jost Zetzsche ist weithin bekannt als IT-„Guru“ im Bereich Übersetzen. Der Untertitel des Buches bringt den Anspruch ihrer Werkes auf den Punkt: „How Language Shapes Our Lives and Transforms the World“. In den sieben mit auch für BrancheninsiderInnen faszinierenden Einblicken gespickten Kapiteln machen sie sich daran, diesen Einspruch einzulösen – und es gelingt ihnen wunderbar. Die Ausführungen dieses Buches werden auch die größten SkeptikerInnen von der Relevanz von Translation in unserer heutigen Welt überzeugen.  Nataly Kelly und Jost Zetzsche haben in intensiver Recherche eindrückliche Beispiele dessen zusammengetragen, was VertreterInnen unserer Branche leisten. Angereichert wird das Buch mit Informationen, die auch langjährigen TranslatorInnen neu sein dürften.  Die wie aus einem Guss geschriebenen Kapitel haben jeweils ein übergeordnetes Thema, etwa „Saving Lives and Protecting Rights in Translation“ oder „Doing Business and Crossing Borders in Translation“. So setzt das Buch  nach einem Vorwort des Linguisten David Crystal mit einer beklemmenden von Nataly Kelly selbst erlebten Episode über das Telefondolmetschen ein, deren Ausgang nicht bekannt ist. „Me va a matar“ („er wird mich umbringen“), flüstert eine spanischsprachige Anruferin, nachdem sie den Notruf 911 gewählt und eine Telefonkonferenz mit der Einsatzzentrale, der Anruferin und der Dolmetscherin hergestellt wurde. Im Hintergrund lautes Fluchen und immer lauter werdende Schritte. Die AutorInnen holen VertreterInnen unserer Branche und erstaunliche Fakten vor den Vorhang, die bisher kaum bewusst wahrgenommen werden. Wer hat sich etwa schon einmal überlegt, dass Weltraumexpeditionen der ISS (International Space Station) ohne speziell ausgebildete DolmetscherInnen nicht funktionieren könnten? Auch wenn AstronautInnen angehalten sind, zusätzlich zu ihrer Muttersprache konversationsfähiges Englisch oder Russisch zu lernen, sind DolmetscherInnen ein zentraler Erfolgsfaktor ihrer Arbeit im All und natürlich der intensiven Vorbereitungen auf der Erde (beschrieben im Unterkapitel „Houston, we need an interpreter“). Auch so unerwartete Aspekte wie englische Untertitelungen gälischer Seifenopern werden behandelt – oder etwa ein Schlaglicht geworfen auf eine so populäre wie verachtete Branche mit Riesenumsatz und deren Verbindung zur Translation: Ja, es gibt KollegInnen, die Keywords unzweideutiger Websites in diverse Sprachen übersetzen, um die jeweilige Seite gut im Internet zu positionieren. Auch eine Übersetzerin von Groschenromanen – wohlgemerkt ein riesiger Markt – vom Englischen ins Niederländische kommt zu Wort und berichtet von kulturellen Schwierigkeiten: Etwa sei den generell wenig der Unterwürfigkeit zugeneigten niederländischen Leserinnen die explizite Aussage der Protagonistin nicht zuzumuten, dass sie, wie im englischen Original, ohne einen bestimmen Mann nicht leben könne. Sehr aufschlussreich auch das Unterkapitel über den amerikanischen Grußkarten-Hersteller Hallmark und dessen Transkreations-Team für spanische Grußkarten für den großen Markt der Spanischsprachigen in den USA. Sehr erhellend fand ich auch die Ausführungen über Dolmetscheinsätze bei Schönheitswettbewerben wie Miss Universe. Äußerst amüsant die Sammlung von Markennamen, die in dem einen oder anderen Sprachraum so gar nicht funktionieren würden wie etwa „Only Puke“  (chinesischer Snack), „Fart“ (polnisches Saftgetränk) „Pee Cola“ aus Ghana. Wer hat sich jemals überlegt, dass ein Unterhaltungsimperium wie der Cirque du Soleil mit ArtistInnen aus aller Welt ohne ein 20-köpfiges Dolmetschteam nicht funktionieren könnte, weil sich die ArtistInnen nicht mit deren TrainerInnen verständigen und damit ihre atemberaubende Akrobatik nicht auf die Bühne bringen könnten? Beim Spektrum der abgedeckten Sprachen beschränken sich Kelly und Zetzsche keinesfalls auf die „üblichen Verdächtigen“: Eine Übersetzerin für Englisch-Inuktitut (Überbegriff der Sprachen der Inuit) kommt zu Wort, ebenso wie die Übersetzung von Poesie in der Sprache der Shuar in Ecuador. Gebärdensprache wird im Kapitel über den Dolmetscher Jack Jason beschrieben, der durch seine intensive Zusammenarbeit mit der prominenten amerikanischen Schauspielerin Marlee Matlin vielen Menschen in den USA bekannt ist – Gleiches gilt übrigens auch für die Gebärdensprachdolmetscherin Lydia Callis, die an der Seite von Michael Bloomberg, Bürgermeister von New York, die Pressekonferenzen vor und während des Hurrikans Sandy gebärdete. Auch sehr traurige bzw. beschämende Aspekte werden behandelt, etwa die hunderten DolmetscherInnen, die im Einsatz für die amerikanischen Truppen im Irak ihr Leben gelassen haben, während Überlebende, die nun in ihrem Land als Verräter gesehen werden und dringend Asyl in den USA suchen, nur vereinzelt ins Land gelassen werden – ganze 50 Personen im Jahr 2009. Nicht zu kurz kommt auch die Lebensgeschichte und translatorischen Errungenschaften des uns wohlbekannten Hieronymus. Spannende Einblicke gibt es in den gigantischen Übersetzungsaufwand der Fluglinie United Airlines und den unermüdlichen Beitrag der Icelandair zur Verbreitung der Landessprache: isländisches Vokabular ziert Polster, Kaffeebecher und Kopfstützen an Bord. Besonders gefielen mir auch die Ausführungen der zentralen Bedeutung von Translation für den Ausbau sozialer Netzwerke wie Twitter und Facebook (verfügbar in derzeit 77 Sprachen). Wikipedia übrigens bietet Artikel in 284 Sprachen. Unter dem Motto „Ideas worth spreading“ arbeiten 7500 freiwillige ÜbersetzerInnen an Untertitelungen der äußerst informativen „TED-Talks“ (www.ted.com).  Auch Maschinenübersetzung wird behandelt, wobei die AutorInnen vielmehr eine Komplementarität denn eine Rivalität zwischen Human- und Maschinenübersetzung sehen. Insgesamt ist „Found in Translation“ eine echte Liebeserklärung an die Translation, die wohl jede und jeder von uns sofort unterschreiben würde. Bewertung: 5 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
Wolf Haas, über dessen neuestes Werk „Verteidigung der Missionarsstellung“ ich hier bereits berichtet habe, hat nichts als Verachtung übrig für AutorInnen, die in ihren Büchern ihre weitgereiste Ader ausbreiten. Mich wiederum stört das überhaupt nicht – im Gegenteil, ich finde Lokalkolorit sehr angenehm. Nicht nur, aber besonders dann, wenn ich die beschriebenen Orte kenne. Was natürlich die Gefahr mit sich bringt, dass ich mich unbewusst auf Fehlersuche begebe, ob denn auch wirklich alles mit rechten Dingen zugeht in der fiktionalisierten Welt. Bei der Beschreibung von Las Vegas fiel auf, dass es das Hotel „Aladdin“ in der alten Form schon lange nicht mehr gibt. Es sieht jetzt komplett anders aus und nennt sich Planet Hollywood. Egal. Der Detective wohnt in einem „Living Resort“ in Las Vegas – was soll denn das sein? Vielleicht eine „gated community“? Egal. Was mir weniger egal ist, ist, wenn bei mir die Stil-Alarmglocken aufleuchten. Aber erst einmal kurz zum streckenweise recht blutigen Inhalt: Die Wienerin Katharina Kafka (sic), deren Eltern vor vielen Jahren in den USA ermordet wurden, bekommt einen Anruf aus Las Vegas, dass es endlich eine neue Spur gäbe – sie möge doch vorbeikommen. Macht sie, springt ins Flugzeug und nimmt ihren Transvestiten-Freund Orlando mit. Der/die ist so haarsträubend klischeehaft beschrieben, dass es mir schon nicht mehr wurscht ist. Ich kann mir vorstellen, dass dies bei der entsprechenden Community so richtig mies ankommt. Jedenfalls rauscht Katharina Kafka in Vegas ein und alles ergibt sich wunderprächtig, sodass sie sich asbald in Begleitung des natürlich umwerfend gut aussehenden Detective, der offensichtlich ganz unamerikanisch richtig viel Urlaub hat, auf eine Rundreise durch die schönsten Nationalparks des amerikanischen Südwestens begibt. Praktischweise handelt es sich dabei genau um das Gebiet, in dem der angebliche Mörder ihrer Eltern weiterhin wütet. Das gibt der Autorin die Gelegenheit, die schönen Sehenswürdigkeiten ansatzweise zu beschreiben, wobei sie die Stimmung, die Weite, die beeindruckenden Naturschauspiele gut vermittelt: Death Valley, Red Rock Canyon, Grand Canyon, Monument Valley, Mesa Verde – alles da. Zurück zu SOS Stil. Hier ein Beispiel, bei dem mich wirklich das Grauen gepackt hat: „Ich verstehe es, einen Mann mit meinen Lippen und meiner Zunge verrückt zu machen.“ HILFE!!! Auch der in literarisch wenig überzeugenden Werken oft praktizierte Informations-Overkill schlägt zu:  „Ich schlüpfe in meine schwarzen Jeans und lasse mich von ihm dazu überreden, ein weit ausgeschnittenes Desigual-T-Shirt anzuziehen, das meine vollen Brüste betont.“ Was soll der Quatsch, wen interessiert die Größe der Brüste? Und wenn sie es offensichtlich nicht anziehen will, warum lässt sie sich dann dazu überreden? Oder ist das nur eine nichtssagende Formulierung? Wahrscheinlich Letzteres. Oder: „Auf dem Weg zu unserem Bungalow bin ich sehr schweigsam.“ Aha. Unterm Strich fand ich die Lektüre aus den oben dargelegten Gründen eher ärgerlich – als Einstimmung auf einen ausgiebigen Urlaub im amerikanischen Südwesten ist dieses Buch aber sicher keine schlechte Wahl, vor allem, wenn die Leserin mit Klischees und fragwürdigem Stil weniger auf Kriegsfuß steht als ich.   Bewertung: 2 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
Einige Jahre nach seinem brillanten „Das Wetter vor 15 Jahren“ hat Wolf Haas wieder zugeschlagen. Und wieder stellt er die traditionelle Erzählweise völlig auf den Kopf. Wieder ist die Geschichte an sich unerheblich. Nicht der Inhalt zählt, sondern die Form. Wer „experimentelle Prosa“ hört und an unverständliches Geschreibsel denkt, kann beruhigt werden: Die Geschichte an sich ist durchaus verständlich, eine etwas verquere Liebesgeschichte. Das Lesevergnügen liegt hier wie gesagt in der Form: Wenn etwa vom „Querlesen“ die Rede ist, steht der folgende Text – ja, quergedruckt auf der Seite. Stellenweise füllt chinesischer Text die Seiten (laut Autor ergibt dieser im Chinesischen durchaus Sinn), womit die Unverständlichkeit einer unsereins völlig fremden Sprache eindrucksvoll transportiert wird. Und da das so genannte „Paisley-Muster“ im Buch eine Rolle spielt, findet sich ein Stück Text kurzerhand im Paisley-Format wieder. So etwas muss einem mal einfallen! Weiteres Beispiel: Fahren zwei der Hauptfiguren miteinander im Lift, wird der Text über mehrere Seiten in einem winzigen liftähnlichen Kasten abgedruckt, der auf jeder Seite ein Stück weiter nach unten rückt, wie ein in Bewegung befindlicher Lift. Grandioser Einfall, wie so viele andere. Etliche davon hängen stark an der deutschen Sprache, womit sich die geschätzten KollegInnen, die sich der Literaturübersetzung widmen, vermutlich sehr plagen werden. Wolf Haas hat es ihnen nicht leicht gemacht. Zum Teil hat mich die Lektüre aber auch wahnsinnig geärgert; so ging es mir auch bei der an sich enorm kreativen, auf die Dauer aber nervenden Diktion in den Brenner-Romanen. Diesmal nervte mich eine englische Protagonistin, die im Deutschen ständig „ü“ mit „u“ vertauschte. Eine echte Zümütung, diese Lekture. Aber auch diese hochgehenden Emotionen können wohl als Qualitätsmerkmal eines Prosastücks gesehen werden. So richtig ärgern kann ich mich darüber hinaus nur noch über miesen Stil, was ich aber glücklicherweise eher selten erdulden muss. Von schlechtem Stil kann hier naturgemäß überhaupt keine Rede sein. Insgesamt ist Wolf Haas mit „Verteidigung der Missionarsstellung“ wieder einmal ein sehr innovatives Werk gelungen, Respekt! Es kommt reflektiert und humorvoll daher und flicht geschickt sprachtheoretische Überlegungen ein. Bei der ersten Lesung aus diesem Buch im Wiener Museumsquartier am 30. August zeigte sich Wolf Haas abermals innovativ, indem er Teile seines Buches auswendig vortrug. Weniger Humor bewies er bei nicht geplanten Zwischenfällen wie dem Auftritt eines offensichtlich nicht mehr ganz Nüchternen direkt vor der Bühne und dem Blitzlichtgewitter eines Fotografen. Situationswitz ist ganz offensichtlich seine Sache nicht. Bewertung: 5 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
Wie ich bei jeder Gelegenheit betone, bevorzuge ich anspruchsvolle zeitgenössische Literatur. „Die Erdfresserin“ erfüllt diesen Anspruch punktgenau – und dennoch hat mich die Lektüre nicht glücklich gemacht. Warum eigentlich? Dieser Roman der Malerin und ehemaligen Dolmetscherin (siehe Interview für die Zeitschrift des Österreichischen Berufsverbandes für Dolmetschen und Übersetzen auf Seite 19) und jetzigen viel beachteten Schriftstellerin kommt sehr poetisch und hochsymbolisch daher. So symbolisch, dass es mir sehr oft schwergefallen ist, die Symbolik zu entschlüsseln. Das trübt das Lesevergnügen, auch wenn die „Schuld“ dafür natürlich sehr viel eher bei mir zu suchen ist. Der Plot ist kurz umrissen: Die Ich-Erzählerin stammt aus Russland und verdingt sich illegal in Österreich als Prostituierte, damit sie und ihr behinderter Sohn, der in Russland bei seiner Großmutter und Tante wohnt, überleben können. Ein trauriges Schicksal, wie das vieler tausender Menschen. Als Dolmetscherin im so genannten Kommunalbereich hat die Autorin diese tragischen Lebensgeschichten immer wieder miterlebt – und sich im hinteren Teil des Romans als Dolmetscherin ein wenig ruhmreiches Denkmal gesetzt. Trotz der bestürzenden Thematik ist mir der Roman ganz und gar nicht nahe gegangen – vielleicht liegt das daran, dass sich die Ich-Erzählerin so überhaupt nicht in die Opferrolle fügen will, die ihr die Gesellschaft üblicherweise zugedenkt. Sie ist kämpferisch, besserwisserisch, beim besten Willen nicht sympathisch. Das gibt zu denken über mein eigenes Verständnis von Opfern und wie ich erwarte, dass sie sich verhalten. Ich muss einräumen, dass ich im zweiten Teil des Buches, wo es besonders symbolisch wird, bei der Interpretation etwas überfordert war und die Lektüre nicht mehr genießen konnte. Vielleicht hat die Autorin den Bogen etwas überspannt. Was ich übrigens an der zeitgenössischen amerikanischen Literatur so immens schätze, ist, dass sie auch hochliterarische Werke hervorbringt, deren Autorinnen es aber überhaupt nicht als notwendig erachten, diese sprachlich möglichst kompliziert zu gestalten, besonders gut zu beobachten etwa bei Joyce Carol Oates. Ich würde vorschlagen, dass sich die deutschsprachige Literatur eine Scheibe davon abscheidet. Bewertung: 3 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
Der Schweizer Alex Capus hat mit diesem 2005 erschienenen Werk ein merkwürdiges Hybridwesen vorgelegt: „Reisen im Licht der Sterne“ steht auf dem Cover, ohne weiteren Verweis auf das Genre, weshalb ich auf Fiktion tippte. Auf der Innenseite lese ich dann „Reisen im Licht der Sterne. Eine Vermutung“. Aha, da sieht die Welt schon ganz anders aus, verweist der Untertitel doch ansatzweise auf reale Begebenheiten. Den Eindruck des Halbwissenschaftlichen unterstreicht der Autor dann auch durch reichliche Verwendung von absolut enervierenden Fußnoten, wobei ausgerechnet viele direkte Zitate keine Fußnote abgekommen, wobei unergründlich ist, was historisch belegt ist und was Fiktion. Mir persönlich ist das einerlei, aber wenn schon, denn schon, finde ich. Auf jeden Fall dreht sich dieses Buch um Robert Louis Stevenson, den Schöpfer der „Schatzinsel“. Lange Zeit war mir nicht klar, wohin die Reise in diesem Buch geht – zu viele Nebenstränge, die sich wie eigenständige Kurzgeschichten lasen, tummeln sich da, angefangen vom mythenumrankten Fundort des Kirchenschatzes von Lima bis zu den Lebensgeschichten diverser Schatzsucher. Außerdem hat es mich sehr irritiert, dass der Autor ständig mit großer Skepsis auf Stevensons angeblicher Liebe zur Südpazifikinsel Samoa, wo er etliche Jahre verbrachte, herumritt. So könne es nicht gewesen sein, das Wetter sei entgegen Stevensons eigenen (verbürgten) Aufzeichnungen dort miserabel und dem heiklen Gesundheitszustand des Autors ganz und gar nicht zuträglich etc. Was soll der Quatsch?, fragte ich mich ständig. Sehr, sehr viel später verstand ich endlich, worum es dem Autor geht – nämlich um ein etwaiges reales Vorbild der „Schatzinsel“ des Romans, wobei Stevenson die „Schatzinsel“ wohlgemerkt im schweizerischen Davos verfasst haben soll. Viel zu lange tritt Alex Capus‘ Buch auf der Stelle; es fehlt ihm deutlich an Tempo. Die Lebensbeschreibungen der beteiligten Personen mögen zum Teil historisch verbürgt sein, lesen sich aber in der gerafften Form, in der sie präsentiert werden, wie Fiktion. Insgesamt ein reichlich uninspiriertes Werk, aus dem der Autor sehr viel mehr hätte herausholen können. Bemerkenswert auch sein auf Samoa geschriebenes Nachwort, das einiges über die Aufgabenteilung und die Quelle des Glücks im Capus’schen Haushalt verrät: „Nadja [seine Frau] ist glücklich, dass die Kinder glücklich sind.“ Er, Alex Capus, wiederum hatte gerade seinen x-ten Roman fertiggestellt und freute sich vermutlich auf die damit einhergehende mediale und literarische Aufmerksamkeit.  Bewertung: 2 SterneWeitere Rezensionen zu diesem Buch bei Amazon.de lesen
© RSS-Info.net